Dienstag, 22. März 2011

Das Aushalten der inneren Leerstelle



Was er hat, das will er nicht, und was er will, das hat er nicht – so sagt der Volksmund angesichts einer Person, die immer etwas anderes haben will, nur eben nicht das, was gerade da ist. Es ist eine anstrengende Übung, einmal gar nichts haben zu wollen, einmal auf alle Bedürfnisse und vor allem ihre Erfüllung zu verzichten. Wer die dazugehörige Überwindung investiert, die es anfangs kostet, einmal umfassend zu verzichten, dem wird in der Regel bald darauf leicht ums Herz, und im nachhinein staunt er, wie viele Dinge ihn tagtäglich gefangen gehalten haben. Wie konnte man da, oder besser gesagt: Konnte man da überhaupt noch leben? Auch das ist eine Wirkung des Fastens: nicht nur entschleunigen – das Gegenteil von beschleunigen – , sondern das Loslassen, am besten auch einmal von sich selbst. Wer denkt da nicht an Lk 9,27: „Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um meinetwillen verliert, der wird es retten“? Und interessanterweise stellt sich dann, wenn man also komplett losgelassen hat von sich, keine Leere im Inneren ein. Was aber stellt sich ein? Abgesehen von der gesteigerten Wahrnehmungsfähigkeit, die uns ein echtes Fasten ermöglicht, nehmen wir, wenn wir nur wollen, auch das wahr, das in uns lebt, das sich regt wie ein Pflänzlein in der Wüste und sich zu einer labenden Oase entwickelt. In der Tradition verschiedener Religionen, exemplarisch im Christentum, gibt es nämlich erhebliche Spurenelemente, die auf diese Ausfüllung dieser vermeintlichen Leerstelle hindeuten. „Du bist Ich in mir“, schreibt der schlesische Arzt und Konvertit Johannes Scheffler alias Angelus Silesius und meint damit Erfüllung statt Selbstaufgabe. Und bei Paulus, im Galaterbrief 2,20, heißt es ganz explizit: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir.“ Auch im geheimnisvollen alttestamentlichen Gottesnamen „Ich bin der Ich bin da“ mag dieses unerwartete Dasein zumal in Wüstenwanderungen mitschwingen. Hinter dem Ausfüllenlassen der eigenen Leere im geistlichen Leben kann man auch das beziehungsreiche Geheimnis der stellvertretenden Sühne sehen: der für uns Sühne geleistet hat am Kreuz durch sein Blut füllt uns aus. Und wer ihm in dieser Hinsicht nachfolgt, stellvertretend Sühne leistet für jemand anderen, der verzichtet eben nicht, wie mancher Psychologe meint, auf sich selbst. Er verliert sich dadurch nicht und löst sich in kein Nichts hinein auf. Das Gegenteil geschieht: Gewinn an geistiger und vor allem geistlicher Größe, allerdings nicht unter der Perspektive der Leistungsgerechtigkeit. Alles Laute und Grobe fällt dann ab. Personen, denen all dies gelingt: Überwindung der eigenen ausgewachsenen Bedürfnisse, Aushalten der inneren Leerstelle bis zum Gewahrwerden des Größeren in sich selbst, Stellvertretung innerhalb der Gemeinschaft des Glaubens und somit letztlich tiefe Verehrung Gottes, solche Personen werden realistisch liebenswürdig, nicht süßlich-aufgesetzt, können Rückschläge erdulden ohne zu verhärmen oder im ewigen Jammern zu verharren. Dieses Absehen von sich selbst mit eigener rechter Selbstwerdung haben manche Heilige beschrieben – als Süßigkeit, auf die sie nie mehr verzichten wollten. Auch wenn solche mystischen Wege nicht jedermanns Sache sind, so wäre schon viel gewonnen, wenn wir sagen könnten: Was er hat, das will er, und was er nicht hat, das will er nicht. Dazu kann ein aufrichtiges Fasten verhelfen.

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